Die Zukunft der digitalen Qualitätssysteme
Ein exklusives Interview mit Philipp Osterwalder, Mitbegründer von 1Lims
Michelle Müller, Marketingassistentin bei NEMIS Technologies:
Hallo Philipp! Es ist schön, mit dir zu sprechen. Könntest du unseren Lesern die Vision und Mission hinter 1Lims, dem Startup, das du 2018 mitgegründet hast, näherbringen? Ausserdem bin ich natürlich neugierig, was dein persönlicher Antrieb hinter diesem Unternehmen ist.
Die Vision und Mission hinter 1Lims ist es, eine „Rettung“ für die Verbindung des komplexen Ökosystems in einem Labor oder in der Qualitätssicherung anzubieten. 1Lims sorgt für die Verbindung von Mitarbeitern, Maschinen und Software, so dass alle Parameter und Messwerte, die die Qualitätssicherung betreffen, an einer zentralen Stelle erfasst und analysiert werden können, kombiniert und integriert mit anderen Anbietern (Drittsoftware). Wir wollen eine Plattform anbieten, die nicht nur Analysedaten verwaltet, sondern auch die Auslastung von Teams, Geräten und Kennzahlen auf höchstem Niveau des Qualitätsmanagements auswertet.
Aus dem Bereich Phyto-Pharma kommend, absolvierte ich eine Lehre bei Bioforce von Alfred Vogel und liess mich anschliessend zum Biomedizinischen Analytiker ausbilden. Einige Jahre später wechselte ich meinen Schwerpunkt und entschied mich für ein Studium der Umwelttechnik an der ZHAW. Während meines Studiums arbeitete ich in verschiedenen Labors, vor allem im Lebensmittelbereich. Dabei fiel mir immer wieder auf, wie rudimentär und vereinfacht Qualitätsparameter erfasst wurden. Das hat mich einerseits erstaunt und irritiert zugleich. Wir essen jeden Tag Lebensmittel, aber die Lebensmittelindustrie analysiert die Qualitätskennzahlen nicht so genau wie beispielsweise der Phyto-Pharma-Bereich oder der Bereich der Nahrungsergänzungsmittel. Diese fortlaufenden Beobachtungen warfen bei mir einige Fragen auf, und so begann ich mit meinen Nachforschungen. Nur ein halbes Jahr später hatte ich bereits den ersten Prototyp eines lims (Labor-Informations-Management-System).
Viele Lebensmittelhersteller verwenden bei der Entnahme ihrer Umweltproben Stift und Papier. Welches Potenzial birgt also ein digitalisiertes Qualitätsmanagementsystem?
Zwei von drei Fertigungsunternehmen arbeiten noch immer mit manueller Dateneingabe und Medienbrüchen. Es ist immer sinnvoll, Routineaufgaben, die täglich, wöchentlich oder monatlich anfallen, zu automatisieren. 1Lims bietet risikobasierte Entscheidungen für spezifische Analysen auf der Grundlage retrospektiver Daten; dies kann ein Unternehmen massiv entlasten. Wenn Sie beispielsweise den halben Tag damit verbringen, mit Stift und Papier durch die Fabrik zu laufen, Proben zu nehmen und diese dann manuell einzugeben und zu analysieren, steigt das Risiko eines Medienbruchs exponentiell an und damit auch das Risiko für Fehler.
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Letztlich ermöglicht ein digitalisiertes System auch ein höheres Prüfvolumen. Viele Unternehmen in der Lebensmittelbranche beschränken sich auf ein Minimum an Proben. Meiner Erfahrung nach liegt das am Prozess selbst, der mit einem hohen Aufwand für die Probenahme verbunden ist (Handhabung, Entnahme, Bearbeitung und Auswertung der Proben). Dies führt auch dazu, dass diese Daten nur sehr rudimentär erfasst werden, weil sie mit einem hohen Aufwand verbunden sind. Und die Qualitätssicherung ist letztlich eine Kostenstelle für jedes Lebensmittelunternehmen; sie erwirtschaftet kein Geld, sondern versucht, das Risiko von Lebensmittelrückrufen zu begrenzen. Um diese Kosten zu senken, sehe ich eine deutliche Risikominderung durch ein sinnvolles Prüfvolumen in Kombination mit einer digitalen und automatisierten Lösung, um die Prozesse effektiv und effizient zu steuern.
Wie hilft Ihr Instrument den Lebensmittelherstellern, ihr Risiko besser zu steuern?
Wir haben den ersten Prototyp unseres lims mit einem Netzwerk von Labortechnikern geteilt. Wir haben schnell erkannt, dass es in der Fertigungsindustrie einen Bedarf an Software gibt, die vollständig in die bestehende Infrastruktur integriert werden kann und konfigurierbar ist, ohne dass eine Zeile Code geschrieben werden muss. So entstand die Idee zu 1Lims – eine inhärent anpassungsfähige Plattform für verschiedene Branchen ohne Programmierkenntnisse bereitzustellen. Unser lims ist benutzerfreundlich, mikroservicebasiert, modular und intuitiv und bietet ein leistungsfähiges Werkzeug für das Risikomanagement durch die Verbindung und Verbesserung des Qualitätsmanagementsystems.
Wir haben gesehen, dass im Durchschnitt 50 % der täglichen Arbeitszeit für Verwaltungsarbeit, d. h. für nicht wertschöpfende Zeit, aufgewendet wird. Nehmen wir an, Sie beginnen hier und sagen, dass Sie den Verwaltungsaufwand auf die Routinetätigkeit reduzieren, wie z. B. die Umweltüberwachung. In diesem Fall können Sie die Proben mit einem wiederkehrenden Auftrag zeitlich festlegen, wobei die Etiketten bereits vorbereitet und mit einem QR-Code versehen sind, den Sie nur noch ausdrucken müssen. Die Software kann dann anhand der Datenlage die beste Beprobungstour durch das Werk auswählen und so verhindern, dass bestimmte Kontrollpunkte ausgelassen werden oder ein systematischer Fehler auftritt. Auf diese Weise können Sie mehr Proben in kürzerer Zeit analysieren und gleichzeitig die Software mit mehr Daten füttern, die dann eine bessere Empfehlung mit einer genaueren Entscheidungsgrundlage abgeben kann.
Wie überzeugen Sie Ihre Kunden vom Nutzwert Ihres Produkts?
Wir treffen oft auf Unternehmen, die etablierte Prozesse haben, die immer noch auf denselben Grundlagen beruhen, die lange Zeit nie in Frage gestellt wurden. Digitalisierung bedeutet nicht einfach, dieselben langwierigen, fehlerhaften und komplizierten Prozesse digital abzubilden – Digitalisierung bedeutet vor allem Innovation, das Hinterfragen von Dingen, wie sie immer gemacht wurden, und die Neudefinition von Prozessen.
Unnötige Prozessschritte sollten zuerst eliminiert werden, und erst dann sollte ein gestraffter Prozess digitalisiert werden. Auf einem Diagramm mit Effektivität und Effizienz auf jeder Achse sollte also zunächst die Prozessoptimierung, also die Steigerung der Effektivität, im Vordergrund stehen. Dann setzen wir dies in ein digitales Produkt um, das die Effizienz erhöht. So entstehen zwei Hebel, die die Produktivität enorm steigern und damit auch gleichzeitig die Gesamtwertschöpfung erhöhen. Wenn dann noch messbare Parameter für den Qualitätsdurchsatz definiert werden, können diese als Indikatoren genutzt werden und das System kann sich kontinuierlich optimieren. So kann ein Digitalisierungsprojekt langfristig erfolgreich umgesetzt werden.
Was sind derzeit die grössten Herausforderungen, die Sie im Jahr 2022 bewältigen wollen?
Die Konnektivität und Integration der Software ist ein grosses Thema, zu dem wir mehr Schnittstellen schaffen wollen. Wir haben verschiedene Partner in diesem Bereich, wie Servicelabors und Gerätehersteller in der Schweiz. Mit weiteren Partnern und Schnittmengen bauen wir ein Kompetenzzentrum für Qualitätsmanagement auf.
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Eine grosse Herausforderung wird auch sein, Verhaltensmuster aufzubrechen, die sich in den letzten 20-30 Jahren in der Qualitätssicherung etabliert haben. Nur zu sagen: „Schaut, wir haben ein Tool, das euch die Arbeit erleichtert“, funktioniert meistens nicht. Es braucht andere, zukunftsweisende Argumente, wo wir zeigen können, dass die Daten in einem transparenten und homogenen Datenformat vorliegen, was für die Unternehmen essentiell ist, um auf Basis dieser Qualitätsdaten und -parameter Entscheidungen zu treffen. Ein Interessent sagte mir heute Morgen: „Wenn wir unser Qualitätsmanagement anfassen, ist das wie eine Operation am offenen Herzen. Denn Qualität ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Unternehmens, und während wir an der Digitalisierung arbeiten, müssen wir das Geschäft am Laufen halten.“
Qualität ist der Schlüssel für die meisten Unternehmen; das sollte sie für alle Unternehmen sein (lacht). Dies spiegelt die Mission von 1Lims und mein persönliches Bestreben wider, Transparenz zu bieten, insbesondere in der Lebensmittelindustrie. Wir versuchen, mit unserem System eine vollständige Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten, vor allem für den Hersteller, aber auch für den Verbraucher. Indem wir das Vertrauen des Verbrauchers in das Produkt stärken, kann er darauf vertrauen, dass das Produkt, das er kauft, über die gesamte Lieferkette hinweg überwacht wurde und dass es den gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsstandards entspricht, die das Unternehmen nach eigenen Angaben einhält, was in diesem Sinne auch Verbraucherschutz bedeutet. Aus meiner eigenen Motivation heraus möchte ich aufklären und zeigen, dass es Branchen gibt, in denen sehr gründlich analysiert wird, und dass in den Branchen, die Waren herstellen, die wir täglich benutzen, ein Aufhol- und Innovationsbedarf besteht.
Philipp Osterwalder ist CEO und Mitbegründer von 1Lims, Laborwissenschaftler und Ökotechnologe. Er begann seine Karriere mit einer Lehre bei Bioforce und liess sich zum Biomedizinischen Analytiker ausbilden. Später entschied er sich für ein Studium des Umweltingenieurwesens und der ZHAW und arbeitete in verschiedenen Labors, vor allem im Lebensmittelbereich.